Vom Übereinander zum Miteinander
Wir sprechen viel übereinander. "Die Jungen verstehen nicht mehr..." sagen die Alten. "Die Alten blockieren alles..." sagen die Jungen. So geht das. Endlos. Man spricht über die anderen, nicht mit ihnen.
In einer meiner früheren Pfarreien. Ein Stammtisch nach der Messe. Es ging um das kommende Gemeindefest. Jemand sagte: "Die Jugendlichen wollen doch nur..." Ein anderer: "Die Senioren brauchen aber..." Alle nickten. Keiner fragte die Jugendlichen. Keiner fragte die Senioren. Sie waren gar nicht da.
Wir wissen immer schon, was die anderen denken. Was sie wollen. Was sie brauchen. Wir haben sie in Schubladen gesteckt. Beschriftet. Abgelegt.
Die Seelsorger reden über die Gemeinde. Die Gemeinde über die Seelsorger. Die Eltern über die Kinder. Die Kinder über die Eltern. Die Einheimischen über die Zugezogenen. Die Zugezogenen über die Einheimischen.
Es ist einfach, übereinander zu reden. Man muss sich nicht aussetzen. Nicht verwundbar machen. Kann in der eigenen Welt bleiben. Sicher. Bequem. Aber wir verlieren etwas dabei. Wir verlieren den Menschen hinter unseren Vorstellungen. Wir verlieren die Geschichte hinter unseren Urteilen. Wir verlieren die Wahrheit hinter unseren Meinungen.
Letzten Sonntag nach dem Gottesdienst. Zwei Leute standen beieinander. "Hast du gehört, der Herr Müller will jetzt im Chor mitsingen. Ausgerechnet der..." Sie kicherten. Ein Mann ging vorbei, grüsste freundlich. Sie grüssten zurück. Der Mann war Herr Müller.
Später hörte ich den Chor proben. Herr Müller sang mit. Eine tiefe, warme Stimme. Nach der Probe fragte ich ihn, warum er jetzt im Chor mitsinge. "Meine Frau ist vor einem Jahr gestorben", sagte er. "Sie hat immer so gern gesungen. Ich will jetzt für sie singen." In seiner Stimme lag etwas, das ich noch nie gehört hatte.
Der Weg vom Übereinander zum Miteinander ist kurz. Ein Schritt nur. Ein Satz nur: "Wie geht es dir?" Und doch ist er weit. Er führt über Abgründe von Angst. Von Vorurteilen. Von Bequemlichkeit.
Beim nächsten Gemeindefest-Planungstreffen waren sie da. Die Jugendlichen. Die Senioren. Sie sprachen nicht übereinander. Sie sprachen miteinander. Es war anstrengend. Manchmal laut. Sie verstanden sich nicht immer. Aber sie versuchten es. Eine junge Frau wollte eine Open-Air-Bühne mit Musik. Ein alter Mann einen stillen Begegnungsraum. Sie stritten. Dann fragte jemand: "Warum ist dir das wichtig?" Kein Vorwurf. Eine echte Frage. Der alte Mann erzählte von seiner Frau, die Rosen liebte. Die junge Frau von ihrem Bruder, der beim Skaten Freunde fand, als er neu am Ort war. Plötzlich hörten sie einander zu. Sahen einander. Am Ende entstand etwas, das keiner allein erdacht hätte. Ein Fest mit ruhigen Ecken und lebendigen Plätzen. Mit Musik zu bestimmten Zeiten und Raum für Gespräche dazwischen. Nicht perfekt. Aber gemeinsam.